Besuche bei meiner Mutter unterscheiden sich kaum. Mit 84 verlaufen die Tage immer in der gleichen Eintönigkeit, deshalb muss ich mir auch Woche für Woche dieselben Geschichten anhören. Es ist anstrengend.
Im Wohnzimmerschrank entdecke ich ein altes Fotoalbum, in dunkelroten Samt eingeschlagen. Es wirkt abgegriffen und auf jeder Seite ist ein vergilbtes Bild mit steif wirkenden Personen eingeklebt und um für ein wenig Abwechslung zu sorgen, schlage ich vor zusammen dieses Album anzusehen.
Es ist dann doch spannend, wie diese Personen in den Erzählungen meiner Mutter lebendig werden.
"Das ist deine Oma, da war sie etwa 16."
Das Foto zeigt eine junge, hübsche Frau in schwarzem Rock und weißer Bluse. Wahrscheinlich ihr Sonntags-Staat, denn auf dem Land war man zu dieser Zeit sehr einfach, beinahe ärmlich gekleidet.
Sie blickt dabei so voller Kraft und Optimismus in die Zukunft, ohne zu wissen, was das Schicksal für sie bereithält.
Mutter beginnt zu erzählen. Über ihre eigene Kindheit und über ihre Mutter, meine Oma. So lange es noch jemanden gibt, der als Zeitzeuge darüber berichten kann, sollte man all das festhalten, damit es nicht verloren geht.
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