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Donnerstag, 26. März 2015

Zum goldenen Adler

Oktober 2013


Über Das Leben meiner Oma im 2. Weltkrieg habe ich nun ausreichend Informations-Material gesammelt und sollte mich nun ihrer Jugendjahre im 1.Weltkrieg zuwenden.
Außer ein paar überlieferten Geschichten habe ich keine Dokumente mehr. Ich versuche mir einfach anhand alter Fotos ein Bild von jener Zeit zu machen und überlege mir, wie sie damals gelebt haben könnte.

In der Stadt Kirchheim, nicht weit von ihrem Dorf Ötlingen entfernt (später wurde beides zusammengelegt) gab es ein Wirtshaus mit einem sehr großen Saal, das weit über die Grenzen hinaus bekannt war -  Der goldene Adler.
Heute erinnert nur noch der Adler über dem früheren Eingang daran. Sonst findet man nur die üblichen Läden, wie sie in jeder mittleren Stadt zu finden sind in diesem Gebäude. Von der alten Pracht ist leider nichts mehr geblieben.





Mittlerweile weiß ich, wo Informationen zu bekommen sind.
Ich wende mich an das Archiv der Stadt und finde nicht nur einen großen Artikel über das frühere Wirtshaus, sondern begebe mich auch auf eine persönliche Zeitreise.


Untergebracht ist das städtische Archiv ist in einem unscheinbaren Gebäude zwischen historischen Bauwerken.
Nach dem Öffnen der Eingangstüre fühle ich mich augenblicklich in das Haus meiner Oma versetzt. Von einem düsteren Gang aus, kommt man in verschiedene Räume, die öffentlich genutzt werden.
Gleich links führt eine viertelgewendelte Holztreppe in das nächste Stockwerk zum Archiv. Beim Betreten der knarrenden, mit Linoleum belegten Stufen, und beim Berühren, des glatt polierten Holzhandlaufes, überkommt mich das Gefühl, eine Zeitreise in die Anfänge des letzten Jahrhunderts anzutreten.
Räume, die den Eindruck erwecken, einst als Wohnung gedient zu haben, in denen die Wände ringsum bis unter die Decke mit Büchern und Ordnern vollgestellt sind. In der Mitte des größeren Raumes sitzt ein alter Herr im schwarzen Anzug an einem Tisch und macht sich Notizen aus einem Buch.
Seitlich, fast zwischen den Büchern verborgen sucht ein älterer Mann Informationen an einem Bildschirm,- ein Mikrofilm-Betrachter wie es scheint. Wenigstens ein Gegenstand, der mich daran erinnert, dass ich mich in der Gegenwart befinde.
Eine Verwaltungs-Angestellte versorgt mich im Nebenraum mit dem gewünschten Informations-Material in einem Leitz-Ordner. Damit setze ich mich neben den alten Herrn an den Tisch.
"Meinen Schülern in der Oberstufe habe ich immer gesagt, es ist wichtig zu wissen, wo man nachschlagen kann." erklärt er dem Mann am Betrachter.
Für einen Moment werde ich ganz hellhörig und vergesse, in meinem Zeitungsartikel weiterzulesen. Ich frage ihn nach seinem Namen und ob er an der hiesigen Schule Lehrer gewesen sei. Bei der Nennung seines Namens fühle ich mich sofort wieder in die Vergangenheit versetzt.


Dreizehnjährig sitze ich im Klassenzimmer. Vor mir ein Lehrer, den ich altersmäßig nicht richtig einschätzen kann. Selbstgerecht und humorlos versucht er Wissen zu vermitteln und mit geringem Interesse wird es kurzfristig gespeichert, da von der korrekten Wiedergabe immerhin die eigene Zukunft abhängt.

Überrascht erkläre ich ihm, dass ich vor über vierzig Jahren seine Schülerin war. - Nur ein flüchtiger, abschätzender Blick, der für einen kurzen Moment Ratlosigkeit erkennen lässt, und kommentarlos fährt er fort sich ausschweifend über die Bausünden der letzten Jahrzehnte auszulassen. 81 sei er inzwischen und durch einen Schlaganfall linksseitig gelähmt, bemerkt er noch im Hinausgehen.

Seltsam, meine Zukunft konnte er in keiner Weise beeinflussen, und von dem ganzen übertragenen Wissen ist vielleicht nur geblieben, dass ich heute hier sitze und weiß, wo ich etwas nachschlagen kann.

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